redefluss / begradigung
kurzgeschichte
Also ich sag mal so, es heißt der Fluss des Lebens, nicht der Kanal des Lebens. Kanal des Lebens, was soll das denn überhaupt sein? Ich bitte dich. Kanal. Wie das schon klingt. Da wird mein Wasser, dass doch schürfen soll und die Berge mit dem Meer verbindet - Das ist Leben! Da wird mein Wasser, dass ich mühevoll aus den in Milliarden Jahre Arbeit zusammengeschobenen Felsformationen presse, über Rinnsale und Bäche plätschern lasse, dass ich auf Wasserfällen mit einem brutalen Bumms ins Tal donnern lasse, dass ich dann in mich aufnehme, in immer breiter werdende, sich zärtlich und endlos in der Landschaft schlängelnde Becken, da wird dieses Wasser einfach in gerade Bahnen gehämmert, gestoßen, in Beton gegossen wie die Füße eines Mafiosis, von denen einige bei mir unten in den Tiefen verborgen sind. Überhaupt verberge ich, ziehe weiter, ich bin ja - und das wissen die wenigsten - ein verschwiegener und ich will sagen mitunter bescheidener Geselle, ich tue meine Pflicht, ich werde meinem Wesen gerecht und ich fließe. Tagein, tagaus, ich fließe den Forellen entgegen, ich fließe mit den Kähnen, ich lasse Menschen friedlich in mir untergehen oder auf mir treiben, jeden nach seiner oder ihrer Fasson. Aber Ihr Menschen, ihr habt das noch lange nicht verstanden, dass mit dem fließen lassen, Eure Natur krankt vor Widersprüchen, ihr wollt so viel und könnt so wenig. Ge bitte! Ganz Wien ist doch nur Kanal, ausgetrocknet noch dazu. Ihr wollts gerade und das kann ich schon auch aber eben nicht wie Ihr wollt. Ihr wollt berechenbar, akkurat und kalkuliert, ihr wollt keine Angst haben vor dem Ungewissen, vor den Naturgewalten, weil ihr das doch gar nicht mehr könnt! “Uh, mir ist der Keller vollgelaufen, oh man, ich armer Vermieter, voll blöd, end viel Wasser jetzt und meine Ski schwimmen ganz durcheinander mit alle den Dingen, von denen ich vor Jahren schon vergessen habe, dass sie überhaupt existieren.” Aber nein, versteh mich nicht falsch, ich hab nichts gegen Euch, Ihr seid ja auch mitunter, wenn ich das so sagen darf, ganz süß in Euren Versuchen, dass Leben zu verstehen. Unbrauchbar - aber süß durchaus. Falsch liegt ihr meistens, es ist zu drollig aber ihr probierts schon immer munter weiter, dass muss man Euch lassen. Und deswegen also nein, ich hab nichts gegen Euch, nicht wirklich, nur die Sache mit den Kanälen ist wirklich eine Spur zu viel, da habt Ihr einfach zu viel gewollt oder zu wenig, je nachdem, wen man fragt. Ich sage eine Spur zu viel. Ein Hauch. Ich brauche Freiheit, verstehst du? Ich muss hier mal über die Ufer treten, da mal über die Schnellen springen, dort sanft dahingleiten. Du auch. Wenn du mehr wie ich wärst, wenn du mehr springen, gleiten und einfach mal über die Ufer treten würdest, dann würdest du verstehen, Du würdest endlich verstehen. Aber nein. Du baust Kanäle. Aber gut, mach mal. Mach mal noch ne Weile weiter, wachse, expandier, nimm die Welt ein und lass sie dir wieder wegnehmen und irgendwann, wenn du über den Jordan gegangen bist (ein lieber Kollege von mir übrigens) dann wirst du auch zu mir, zu Wasser, zu Erde, Deine Teile werden Welt und dann verstehst du es endlich. Dann würdest du auch keine Kanäle mehr bauen. So und jetzt geh weida. Pfiati.